In unserer fiktiven Familiengeschichte verließen die Rizzi zu Beginn der Antike Mesopotamien. Sie waren seit langer Zeit Händler und wollten ihre Geschäfte aus dem Zweistromland an die Küste des Mittelmeeres verlegen, da sie von den erfolgreichen Geschäften der Phönizier gehört hatten.

Antike und Phönizier

Um 800 v. Chr. endete die Bronzezeit, es begann die Eisenzeit und mit ihr die Antike (800 v. Chr. - 600 n. Chr.), das heißt jene Zeit, in der das geschichtliche Bewusstsein der Menschheit so allumfassend geworden war, dass wir ab nun auf Grund der vielen Zeitzeugnisse gute Kenntnisse über das damalige Geschehen besitzen.

Territorium Phönizier In dieser Zeit beginnt die Geschichte der Familie Rizzi im Morgenland, an der Levante. Dort, an der östlichen Mittelmeerküste siedelten die Phönizier, ein antikes Volk mit semitischer Sprache[1], das für seine Seefahrt und Handelstüchtigkeit bekannt war.

Das Gebiet der Phönizier reichte entlang der Küste von der nördlichsten Stadt Arwad bis zur südlichsten Stadt Dor und im Osten bis zum Karmel-Gebirge (Bild 1: Map of Phoenicia). Die Städte bildeten Stadtstaaten, von denen Byblos, Sidon und Tyros (Tyre) zu den einflussreichsten zählten.

Die Menschen waren hunderttausende Jahre durch die Weltgeschichte gezogen – von Afrika bis in den Vorderen Orient – ehe unsere Familie sich im Jahr 800 v. Chr. in Sidon (im heutigen Libanon) ansiedelte und als Phönizier einen florierenden Handel zu betreiben begann.

Sidon war berühmt für seinen Hafen und spielte eine bedeutende Rolle im Handel und in der Seefahrt des antiken Mittelmeerraums. Sidon bildete mit den Nachbarstädten Tyros und Byblos ein umfangreiches und mächtiges phönizisches Handelsnetzwerk, das nicht nur zur wirtschaftlichen Blüte der Städte beitrug, sondern auch zur Verbreitung der phönizischen Kultur und Technologie im gesamten Mittelmeerraum. Von den phönizischen Städten segelten die Händler mit den für ihre Robustheit und Geschwindigkeit bekannten Triremen, einer Kombination von Segel- und Ruderboot, zu den Küsten und Inseln des Mittelmeers. Sie exportierten Textilien, metallurgische Erzeugnisse, Glaswaren und Purpurfarbstoff, für den die Phönizier besonders berühmt waren. Sie importierten Edelmetalle, Gewürze, Hölzer und exotische Stoffe.

Phönizier Handelsrouten

Bild 2: Handelsrouten der Phönizier

Der Handel mit Gewürzen hatte schon seit je her eine immense Bedeutung und trug zu kulturellen, wirtschaftlichen und historischen Entwicklungen bei. Viele der exotischen Gewürze wie Pfeffer, Zimt, Ingwer und Kardamom stammten aus Regionen wie Indien und dem Nahen Osten. Gewürze waren Luxusgüter, die die wohlhabende Oberschicht für kulinarische, medizinische und rituelle Zwecke verwendete. Sie trugen zur Vielfalt und Raffinesse der antiken Küche bei, veredelten den Geschmack der Speisen und dienten zur Konservierung von Lebensmitteln. In der antiken Medizin wurden die heilenden Kräfte bestimmter Gewürze genutzt und bei religiösen Riten ihre aromatischen Eigenschaften geschätzt.

Der Handel über den Landweg war unsicher und gefährlich. Er bedurfte erheblicher Schutzmaßnahmen, erlitt immer wieder Verluste durch räuberische Überfälle und war mit hohen Kosten verbunden. Es ist zu verständlich, dass die transportierten Güter schon allein deswegen einen hohen Wert erhielten.

Seidenstraße

Schon in der Antike fand der Handel über die Seidenstraße und die Seewege des Mittelmeers statt. Arabische Händler spielten eine Schlüsselrolle im Gewürzhandel entlang der Seidenstraße, die den Warenaustausch zwischen dem Osten mit China und Indien und dem Mittelmeerraum ermöglichte. Bereits im 5. Jh. v. Chr. gab es die Persische Königsstraße, von der Handelsrouten nach Tyros und Sidon abzweigten (Bild 3).

Persische Seidenstraße

Bild 3: Die Persische Königsstraße als Teil der Seidenstraße ab dem 2. Jh. v. Chr.

Eine entscheidende politische Voraussetzung für die vollständige Öffnung des östlichen Endes der Seidenstraße war die chinesische Expansion nach Westen.

neue Chinesische Seidenstraße BRI Belt and Road Initiative

Bild 4: The Belt and Road Initiative

Heute expandiert China mit der neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) in weite Teile der Welt. Durch eine globale Konnektivitätspolitik mit dem Aufbau von Wirtschaftskorridoren, Handelsknotenpunkten, Wirtschaftszonen und digitalen Systemen soll ein weltweites Netzwerk entstehen, in dem China unbedingt zur führenden Weltmacht aufsteigen will.

Fast dreitausend Jahre früher waren die Seidenstraße und das Mittelmeer lediglich beschwerliche und gefährliche Wege für den Handel mit Gewürzen. Die Rizzi hatten sich schon zu ihrer Zeit in Mesopotamien auf den Gewürzhandel spezialisiert und konnten ihre Jahrhundert alten Erfahrungen aus dem Transport der Gewürze von Ost nach West in Sidon hervorragend nutzen.

Zwar hatte Sidon einen Autonomiestatus und konnte freien Handel betreiben, aber beherrscht wurde es von den Assyrern. 725 v. Chr. rebellierten etliche phönizische Städte gegen die Assyrer, während sich Sidon auf die Seite der Assyrer stellte. Warum sie ihre Meinung änderten und zwanzig Jahre später auch gegen die Assyrer rebellierten, ist unbekannt. Sicher ist nur, dass sowohl diese als auch eine weitere Rebellion von den Assyrern niedergeschlagen und Sidon 677 v. Chr. zerstört und die Bewohner deportiert wurden. Da die Rizzi das Unheil kommen sahen, hatten sie Sidon rechtzeitig verlassen und ihr gesamtes Hab und Gut nach Tyros verfrachtet.

Tyros war eine der frühesten phönizischen Metropolen und der griechischen Mythologie zufolge der Geburtsort von Europa, ihrer Brüder Kadmos und Phönix sowie von Karthagos Gründerin Dido. Nach dem Umzug nach Tyros erfuhren unsere Vorfahren aus Erzählungen von Handelsreisenden, was mit ihrem Herrscher Abdi-Milkutti geschehen war. Er wurde in der assyrischen Hauptstadt Ninive enthauptet, seinen Kopf hängte man einem sidonischen Würdenträger um den Hals, der damit auf dem Marktplatz von Ninive herummarschieren musste, begleitet von Sängern und Harfenspielern.

Aber auch in Tyros gab es für unsere Vorfahren keine Zuversicht, ihr Leben in Frieden und ihre Geschäfte ungestört und erfolgreich führen zu können. Die Assyrer gaben praktisch nie auf, die phönizischen Gebiete zu bekriegen und als der Assyrerkönig Nebukadnezar II Tyros im Jahr 586  v. Chr. dreizehn Jahre lang belagern ließ, war es mit der Geduld der Rizzi endgültig vorbei. Als die Truppen Nebukadnezars nach der erfolglosen Belagerung abgezogen waren und neues Unheil von den Persern schon zu drohen begann, entschlossen sie sich 599  v. Chr. zur Migration nach Karthago.

Karthago und die Römer

Dido Gemälde Lucas Cranach der Ältere

Siedler aus Tyros hatten im Jahr 814 v. Chr. Karthago als Kolonie gegründet. Die Mythologie erzählt eine andere Geschichte über die Gründung von Karthago. Elissa (bei den Römern Dido genannt) soll die Tochter des Königs Mutto von Tyros und Sidon (829 – 821 v. Chr.) gewesen sein. Mutto setzte Dido und ihren Gatten Sychaeus und nicht seinen Sohn Pygmalion als Erben ein, worauf Pygmalion Didos Mann Sychaeus aus Habgier erschlug. Dido, die um ihr Leben fürchtete, floh über Zypern an den Golf von Tunis. Der ortsansässige König versprach ihr so viel Land, wie sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt daraufhin die Haut eines Ochsens in dünne Streifen, legte sie aneinander um den Hügel Byrsa herum und konnte somit ein großes Stück Land markieren. Es war die Keimzelle Karthagos. Nach Vergils Epos Aeneis besuchte Aeneas, der sagenhafte Stammvater der Römer, Dido in Karthago und verliebte sich in sie. Als er auf Geheiß Jupiters abreisen musste, tötete Dido sich selbst auf dem Scheiterhaufen (Bild 5, Dido). Doch zuvor schwor sie Rache und schaffte so die Grundlage für den späteren Konflikt zwischen Karthago und Rom.

Karthagisches Reich

Aus der phönizischen Kolonie Karthago war nach und nach das Karthagische Reich entstanden, das mehr und mehr von Tyros und Sidon unabhängig und zu einer der mächtigsten Städte im Mittelmeer wurde.

Karthago besaß ein umfassendes politisches System mit verfassungsähnlichen Grundsätzen und vergrößerte seinen Einfluss kontinuierlich. Es übernahm die Rolle einer Schutzmacht für die zahlreichen Siedlungen der phönizischen Städte im Mittelmeer. Damit nicht genug, es gründete eigene Siedlungen: auf Sardinien, Korsika, den Balearen, an der nordafrikanischen Küste und an der südlichen Mittelmeerküste Spaniens und überzeugte sogar die Siedlungen an der Atlantikküste Iberiens und Marokkos, sich dem Karthagischen Reich anzuschließen (Bild 6).

Dies alles war nur durch eine zahlenmäßig starke Flotte, durch überlegenen Schiffbau und durch gut ausgebildete Seeleute möglich. Der Kriegshafen der Stadt besaß Anlegeplätze für 200 bis 300 Schiffe und war sowohl für den Neubau als auch die Reparatur von Schiffen ausgestattet. Als das phönizische Mutterland 539 v. Chr. von den Persern erobert wurde, löste sich das Karthagische Reich ganz aus dem Einfluss von Tyros.

Karthago mit Kriegshafen
Bild 7: Karthago mit dem Kriegshafen

Als unsere Vorfahren 599 v. Chr. von Tyros nach Karthago gezogen waren, war Karthago bereits eine Großmacht im Mittelmeer.

Unter diesem Dach ließ sich der Handel glänzend gestalten und all die Schwierigkeiten der phönizischen Vergangenheit schwanden dahin. Immerhin lebten die Rizzi über vierhundert Jahre in Karthago und genossen während dieser Zeit ihren Erfolg.

Aber nichts ist in der Geschichte unveränderlich und beständig. Und so nahte für die Rizzi auch das Ende in Karthago als der offene Streit um die Macht im Mittelmeer zwischen Rom und Karthago im Jahr 264 v. Chr. ausbrach. Es war der Erste Punische Krieg, der bis 241 v. Chr. dauerte, aber hauptsächlich auf See und auf Sizilien geführt wurde. Von diesem Krieg lebten die Rizzi noch relativ unbeeinflusst, auch wenn der Seehandel schon negativ betroffen war. Dann aber folgte der Zweite Punische Krieg von 218 bis 202 v. Chr., bei dem Hannibals Truppen die Alpen überquerten. In diesem Krieg erlitten die Römer in der Schlacht von Cannae 216 v. Chr. ihre schwerste Niederlage.

Ich lernte im Gymnasium noch, was der römische Senator Marcus Porcius Cato der Ältere, völlig unabhängig vom eigentlichen Thema am Ende jeder seiner Reden sagte, nämlich: „ceterum censeo Carthaginem esse delendam“, was heißt: „und im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. Seine Worte wurden im Dritten Punischen Krieg mit der vollständigen Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. wahr.

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Bildverzeichnis:
Bild 1: Map of Phoenicia, von User Kordas, based on User Alvaro's work, CCA 3.0 Unported
Bild 2: Handelsrouten der Phönizier, von User DooFi, public domain
Bild 3: Seidenstraße ab dem 2. Jh. v. Chr., von ardalpha aus Diercke Atlas online, Thomas O. Höllmann
Bild 4: Proposed Belt and Road Initiative, von User Lommes, CCA Share-Alike 4.0
Bild 5: Dido, die Königin von Karthago, Werkstatt Lucas Cranach der Ältere, 1547, Veste Coburg Kunstsammlungen
Bild 6: Karthagisches Reich um 264 v. Chr., von science-at-home
Bild 7: Karthago mit Kriegshafen, von Rostislaw Ischtschenko

[1]    Semitische Sprachen sprechen heute insbesondere Araber, Israelis, Aramäer, Malteser sowie mehrere Sprachgruppen in Äthiopien und Eritrea.